Unerschrocken in ihrer Betrachtung der Existenz, gehört die jüngst verstorbene Ilse Aichinger zählt zu den singulären Erscheinungen der deutschen Nachkriegsliteratur. Einer „größeren Hoffnung“ ebenso wie einem anarchistischen Zorn über die Welt verpflichtet, suchte sie nach einer Form des Erzählens, durch die den Wörtern „die Lautlosigkeit zurückzugewinnen sei, aus der sie entstanden sind“. Damit einher ging das Misstrauen gegen die „besseren Wörter“ und gegen den redundanten Einsatz von Rede und Selbstrede. Viel eher schöpfte Aichinger ihr Sprechen aus der Reduktion auf eine Poetik, die ein persönliches Ich zurücknimmt und ihr Maß an der Präzision und Klarheit der Beobachtung nimmt: an einem „Zustand zu schreiben, in dem sich innere und äußere Genauigkeit deckt“.
Immer wieder formulierte Ilse Aichinger eine Haltung der Diskretion, in der sie eine Form für das Verschwinden als intensive Lebenserfahrung suchte. In der Zeit des Krieges hatte sie sich mit ihrer jüdischen Mutter jahrelang versteckt gehalten, während die Großmutter sowie die Geschwister der Mutter in den Konzentrationslagern starben. Diese Erinnerung und eine wachsame Beobachtung der Zeitgeschichte verpflichteten die Autorin zu einem Erzählen des lautlosen Zuhörens und Zuschauens, das gegen die Zumutungen des Daseins nüchtern revoltiert und die Erfahrung des Endes wandelt in Erkenntnis und Form: „Wenn wir es richtig nehmen, können wir, was gegen uns gerichtet scheint, wenden, wir können gerade vom Ende her und auf das Ende hin zu erzählen beginnen, und die Welt geht uns wieder auf.“
Nach dem ersten Teil der Hommage an Ilse Aichinger, den wir in Leipzig mit Elke Erb, Hannah Markus, Marion Poschmann, Monika Rinck und Reto Ziegler bestritten haben, wollen wir in der Fortsetzung der österreichischen Autorin weiter auf der Spur sein. Ihren Erzählungen, Beobachtungen und Leidenschaften, die unter anderem dem Kino galten, gilt unsere Aufmerksamkeit im Filmclub Bozen. Helmut Böttiger, Maria Hofstätter, Sascha Michels, Josef Oberhollenzer, Marlene Streeruwitz, Josef Winkler lesen aus dem Werk Ilse Aichingers und nähern sich ihrer Sprache, der es immer darauf ankam, mit jedem Wort ins Klare zu kommen.
Programm:
24. Mai, 20.00:
Helmut Böttiger: „Gefesselt. Ilse Aichinger und Ingeborg Bachmann in den fünfziger Jahren“
Sascha Michel: „Immer neu beim Text bleiben.“ Ilse Aichingers Ethik des Lesens
Josef Oberhollenzer: Auf der Suche nach dem Tannenzapfen
anschließend: Ilse Aichinger: Ausgewählte Texte
Es liest: Maria Hofstätter
25. Mai, 20.00
Marlene Streeruwitz: Beim Lesen von „Findelkind“
Josef Winkler: Da flog das Wort auf
anschließend: Film: „Der Dritte Mann“ (The Third Man), engl Originalfassung mit ital. UT. Regie: Carol Reed, Drehbuch: Graham Greene. Mit Joseph Cotten, Alida Valli, Orson Welles, Paul Hörbiger u.v.a.