Carlfriedrich Claus (1930 – 1998) gilt als radikaler Grenzgänger der Kunst und Literatur der DDR. Der Sprachkünstler, Zeichner, Grafiker und Fotograf hinterließ ein Gesamtwerk, das ein unermüdliches künstlerisches und lebensweltliches Dauerexperimentieren zeigt. Sein Briefwechsel mit Christa und Gerhard Wolf ist ein unverzichtbares Dokument seines vielfältigen Schaffens und Denkens.
Mit Katrin Wolf, Matthias Zwarg und Martin Hoffmann
Gespräch: Elmar Locher
Am 14. 03. 1979 übermittelt Carlfriedrich Claus (1930 – 1998) ein Sprachblatt ohne Titel, DIN A6, doppelseitig, Transp. /blau/schwarz „für Christa zum 18. 3. 1979 herzlichst Carlfriedrich“ (gleichzeitig Umschlagbild des Bandes). „Nun schauen mich immer mindestens vier Augen an“: Dies Christa Wolfs Kommentar zur Geburtstagsgabe von Carlfriedrich Claus und zugleich der Titel des Briefwechsels, der 2018 erschienen ist.
In diesem Kommentar ist bereits das Augenmotiv benannt, das im Werk von Claus eine so entscheidende Rolle spielt. Nicht von ungefähr, denn seine Denk- und Sprachlandschaften sind am Schnittpunkt wissenschaftlicher-philosophischer (marxistischer, vornehmlich dem Denken Ernst Blochs verpflichtet) – kabbalistischer Denkansätze angesiedelt. Entscheidend wird der Ansatz des Konstruktivismus, dass „alles, was wir als Wirklichkeit bezeichnen, nichts anderes als ein Produkt unserer neuronalen Tätigkeit ist“ und die Situierung der Beobachterposition. Denn, auf Niels Bohr sich berufend, geht Carlfriedrich Claus davon aus, „[…] daß der Naturwissenschaftler […] nicht mehr nur Beobachter der Natur ist, sondern Mitspieler. Die menschliche Beobachtungstätigkeit verändert das Beobachtungsobjekt so, daß man nicht mehr davon sprechen kann, daß das Objekt rein dargestellt, beschrieben werden könne.“ Deshalb die Notwendigkeit also zu einem Beobachter erster Ordnung einen Beobachter zweiter Ordnung einzuführen und so ad infinitum.
Carlfriedrich Claus schafft Sprach- und Denklandschaften, die die Prozesse, die in neuronalen Netzwerken ablaufen, endlich auf dem Papier materialisieren. Er zeigt die Materialität der Sprache, führt Schriftkarthographien vor, Wegverläufe, die ungleichzeitige Gleichzeitigkeiten zeigen.
Einige Titel weisen die Richtung: Annaberg-Buchholz. Denkgänge über unter Tag. Die beiden Präpositionen zeigen die Verlaufsrichtung, Vorbewusstes-Unbewusstes als der Denkvorgang unter Tag drängt in das Bewusste über Tag, ausgehend von der Bergwerkstätigkeit um Annaberg im Erzgebirge, dem Heimatort von Carlfriedrich Claus. Andere Sprachblätter sind betitelt: Notiz zur Gleichzeitigkeit ungleichzeitiger historischer Gesichtsfelder (1963) oder Nach der Schlacht bei Frankenhausen, nach Thomas Müntzers Tod; die Idee der kommunistischen Revolution lebt weiter
Der vorliegende, von Martin Hoffmann wunderbar gestaltete Band, der zahlreiche Abbildungen von Carlfriedrich Claus enthält, kann unter vielerlei Gesichtspunkten als unverzichtbares Dokument begriffen werden.
Einmal erhellt sich so das Werk von Claus, dieses genauen Vermessers von Sprach- und Denklandschaften im Schnittpunkt ästhetisch/wissenschaftlicher Diskurse, der in der DDR isoliert, aber mit der halben Welt korrespondierte – es gibt auch einen wunderbar gemachten Band, der die Korrespondenz zwischen Carlfriedrich Claus und Franz Mon dokumentiert.
Dann erklärt sich das Werk von Christa und Gerhard Wolf in einer manchmal überraschenden Sichtweise, da Claus sich in seinen Briefen immer wieder prägnant/präzise zu diesem äußert.
Und nicht zuletzt ist der Band unverzichtbar, wenn man die soziokulturellen Denklandschaften der Jahre 1971 – 1998, der DDR zuerst, der Wende dann, verstehen will, ja vielleicht sogar die heutigen politischen Verwerfungen des Ostens.
Zum Ablauf der Veranstaltung: Katrin (Tinka) Wolf, die Tochter von Christa Wolf, an die in sehr vielen Briefen Grüße von Claus adressiert sind, wird die Briefe lesen, die an ihre Familie adressiert sind. Matthias Zwarg, ein Verleger aus Chemnitz, dem der Impuls zum vorliegenden Band zu verdanken ist, wird die Briefe von Carlfriedrich Claus lesen.
Martin Hoffmann, der Ehemann von Katrin Wolf, der den vorliegenden Band gestaltet hat und der darüber hinaus drei Bücher mit Carlfriedrich Claus vorgelegt hat, wird sich zu den Abbildungen des Bandes und zur Arbeit mit Claus äußern.