Swantje Lichtenstein: Zu Trevor Joyce
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„Alles auf der Welt existiert, um in ein einziges Buch zu münden“ (Mallarmé: Notizen zu
Quant au live)
Sehr viel begann für mich mit dem SoundEye-Festival in Cork in Irland, ein ganz besonderes
Festival für Poesie, die sich mit Kunst und Musik vermischte und vor allen in Begegnungen
bestand, künstlerischen, literarischen, musikalischen in einer kleinen, schönen und rauhen
Küstenstadt im Süden der Insel. Es war Zirkel von Menschen, die sich trafen, in Beziehung
setzten und eine Gemeinschaft bildeten, eine Idealvorstellung eines Zusammentreffens für
mich, eine große künstlerische und menschliche Bereicherung, Vorbild und Freude zugleich.
Das Festival fand an verschiedenen Orten statt, aber der eigentliche Mittelpunkt, vor, nach,
zwischen den Lesungen und Veranstaltungen war ein kleines, dunkelblaues Haus, hinter der
Kirche, in deren Turm man die Glocken man mit verschiedenen bekannten Melodien selbst
zum Klingen bringen konnte.
Dieses Haus und sein Bewohner waren das Epizentrum und die Quelle, es zog alle an und
nahm jeden und jegliches auf. Man begegnete sich dort, wurde einbezogen, gespeist und
umsorgt, herausgefordert und angesprochen, es entwickelten sich die geselligsten, geistreichsten,
aber auch albernsten Gespräche, überlegte Thesen wurden formuliert und ausgeführt,
trotz großer Ernsthaftigkeit wurde viel gelacht. Ich traf auf auffälligste Bescheidenheit,
die die Allerklügsten und Begabtesten oft zeigen.
Es war ein Haus, in dem alles um Kunst, Musik, Literatur, aber v.a. um Bücher herum arrangiert
war. Nach den Büchern richtete sich die Einrichtung, die Bücher begleiteten
einen durchs gesamte Haus, von oben nach unten. Man saß und sprach nicht nur zwischen
Büchern, auch in der Küche, auf der Treppe, beim Händewaschen, kein Fleckchen ohne Bücher.
Sie waren gestapelt und verstreut und geordnet in sehr vielen Regalen und Buchbrettern.
Dieses Bücherhaus war Trevor Joyce’ Haus.
Ich bin außerordentlich froh, Ihnen heute Trevor Joyce, den diesjährigen N.C. Kaser-Preisträger
vorstellen zu dürfen und ihm mit Ihnen gemeinsam zum Preis gratulieren zu können.
Als ich von Christine Vescoli gefragt wurde, ob ich die Übersetzungen zu diesem Anlass übernehmen würde,
sagte ich natürlich ja, denn das wäre das mindeste, was ich geben könnte, diese sehr bewunderten
Gedichte, diese bemerkenswerte Textvielfalt zu übertragen. Nicht dass ich denke, das, was ich in der Übertragung versucht hätte, könnte nur einen Bruchteil dessen abbilden, was Trevor Joyce’ Dichtungen auszeichnet. Trevor Joyce hat fast 20 Gedichtbände veröffentlicht,
war als Übersetzer, Kritiker, Herausgeber, Publizist, Veranstalter, Essayist, Prosaautor,
unzählige Artikel in Zeitschriften, Sammelbänden und Lexika. Er veröffentlichte Audioarbeiten,
arbeitete performativ und audiovisuell. Abgesehen davon, dass ein Werk, dass sich
seit den 1960er Jahren stetig künstlerisch-literarisch weiterentwickelt und immer wieder neu
erfunden hat, für mich nicht angemessen repräsentierbar ist in einer kleinen Auswahl, in einer
Lesung bin ich dennoch sicher, dass das, was die Dichtung so besonders macht, sich
auch hierin leicht zeigt, auch bei den ersten Begegnungen damit, dem ersten Klang und den
ersten Worten.
Trevor Joyce Dichtung ist eine belesene, eine die selbst von der Materialität der Sprache,
vom Gesprochenen, Gelesenen, Gesehen ausgeht. Sie spricht von der Wahl und dem Wählen,
dem Auswählen und Suchen, vom Finden und Vergessen, das die Literatur als künstlerisches
Prozessieren und Speicherung von Worten, von Sprachen immer auch zu allererst ist.
Eine Veränderung, ein Verlust und eine Heilung kann sie sein, schreibt Trevor Joyce. Ein
Bruch und seine Fortsetzung oder das Zerbrechen und der Widerstand des Weitermachens.
Das Voran- und Weitergehens der Literatur.
Trevor Joyce ist ein irischer Dichter, wie er sagt, er ist ein Dichter, der mit einer Vielsprachigkeit,
mit der Fremdsprachigkeit immer schon umgeht, die zwar in jeder dichterischen Sprache
steckt, aber das Irische, früher das Gälische, das Englische, die Gespaltenheit des Landes,
politisch, religiös und sprachlich immer noch ist es, die sein Schreiben vielleicht vorrangig
bewegt.
Gerade durch die weiten Bezüge der literarischen Sprachen, der transliterarischen Anknüpfungspunkte
sowohl des klassischen Kanons, der tradierten Volkskultur und den Einflüssen
der europäischen Avantgarde durch die Surrealisten, die Dada, Fluxus und Oulipo-Bewegung
sowie der außereuropäischen Texte z.B. aus dem Chinesischen, Japanischen, Turkmenischen,
Finno-Ugrischen etc. ziehen einen weiten Kreis der Kontextualisierung, der Relationen,
Erneuerungen, Erfrischungen und Erinnerungen auf.
Wichtige Namen aus der anglophonen Welt sind Spenser, Shakespeare, Donne, Wordsworth,
Cowper, daneben stehen Volksweisen, Irische Literatur, Visuelle Künstler und Musiker wie Paul Klee, Max Ernst, John Cage, aber auch Kurt Schwitters, Garcia Lorca, Jorge Borges, Paul Celan, Horaz, John Keats, W.B. Yeats, die irischen Vorfahren Samuel Beckett, James
Joyce, die Freunde Michael Smith, Tom Raworth, Randolph Healy, u.v.a.
Es geht hier um lebende und tote Sprachen, also die Diversität der Sprachen und das, was
davon verloren zu gehen droht. Es geht immer um die Leser/ Hörer von Literatur. Es geht
um enzyklopädisches Wissen, den Kreis der literarisch-künstlerischen Bildung. Diese besteht
nicht unbedingt nur aus Platten, Bildern oder Bücher, sondern ist vielmehr bestimmt von
Menschen, die Platten, Bilder, Bücher weiterreichen und besprechen. Konfluenz viel eher als
nur Influenz. Das vielseitige Zusammenfließen also mehr als nur als das einseitige Einfluss,
das Hineinfließen dessen, was man gemeinsam kennt, schätzt, betreibt und weiterreicht.
Die Sprache trägt dabei immer schon eine Färbung, eine Stimmung, ist nicht unverbraucht
vom vorherigen Einsatz. Kann auch in der Dichtung nicht völlig neu erschaffen werden. Soviel
ist dem Dichter der Moderne klar. Sie kommt nicht unbeschadet oder gar rein davon.
Diese „Verschmutzung“, wie es Trevor Joyce nennt, ist Marker und Material der Dichtung.
Nicht Information, vielmehr zeigt das Gedicht das Ausmaß der Räumlichkeit, der Gestaltbarkeit
der Sprache, ihre Form und Methode selbst auf.
Indem sie sich zum Teil selbst Formstrenge und Regeln aufgibt. Indem sie anzeigt, dass sie
als Literatur immer aus der bestehenden und vergangenen Sprache gemacht ist, selbst
wenn sie als konzeptuelle Literatur davon weiß. Die konzeptuelle Literatur ist eine Literatur,
die sich durch Einschränkungen und Einverleibungen von anderen Texten oder Textformaten,
durch eine strenge Regelhaftigkeit einen freien Zugang zur Literatur verschafft, indem
sie Festschreibungen, Zeiten- und Seitensprünge anzeigt. Weder nur auf Originalität und
Erstmaligkeit setzt, sondern aufzeigt, was die Literatur war und sein kann, wenn man sie
nicht nur als Erfindung vermeintlich neuer Geschichten oder Ausdruck von Affekten ansieht.
Wenn Form und Methode, Klang und Rhythmik, Materialität und Kontext im Fokus der dichterischen
Arbeit stehen. Das dichterische Arbeit immer eine sehr kollektive Angelegenheit ist,
die sich sprachlich zu zeigen vermag.
Trevor Joyce Dichtung traut den Lesenden etwas zu, baut darauf, dass das, was da ist
bleibt, das es als Form, Klang und Wort im Raum ist und uns hinausbegleitet, ob man nun
möchte oder nicht. Vertraut auf die Kraft der Sprache und den lesenden und hörenden Menschen.
Neben der literarischen, künstlerischen Bildung ist Trevor Joyce ein Kenner der Form, der
Struktur. Ein Intellektueller der Technik und Kunst gleichermaßen beherrscht, Programmierung,
Prozessieren und Erfindung natürlicher, eigener, fremder und künstlicher Sprachen.
Der Konstruktion von Welten, Bauten und Geschichte, ebenso wie Naturwissenschaft und
Naturgewalten, Redensarten und Bräuchen, Bildung und die kleinsten Alltäglichkeiten, Philosphie,
Gefühl und Bürokratie. Um nur einige, wiederkehrenden Topoi und Themen seiner
Texte zu benennen.
Diese Amplifizierungen schaffen Zugänge, die Verengungen zeigen sich in einer kunstvollen
Einfachheit, in der doch jeder Buchstabe, jedes Wort noch einen anderen Platz im Kontext
hat. Der in dieser Neuaufstellung Komposition ist, die, wie Gertrude Stein sagt, zuerst Unterscheidung
ist, die Zugänge schafft, von allen Seiten, je nach dem, von welcher Zuschreibung
man herkommt.
Viele der Verfahren, die Trevor Joyce anwendet entstammen musikalischen oder bildkünstlerischen
Verfahren, wie die Collage oder Frottage, die in der Zusammenstellung eben etwas
Neues schafft, die sampled und remixed, die durchscheinen lässt und in der Verwischung
durch leichtes Schaben eine Form werden lässt.
Der Abstraktion, die etwas wegnimmt, um etwas dazuzubekommen oder wie die aleatorischen
Verfahren, die selbst auferlegten, konzeptuellen Regeln, wie z.B. in seinen 36-Wort-
Gedichten, die in Zyklen geschriebenen Sestinen (normalerweise 6 Strophen je 6 jambische
Zeilen), die zu einer, so Trevor Joyce, „Phantom-Hyper-Sestine“ werden, die in den kleinen
Säulchen, zwar in ihrer Dimension verändert wird, nicht aber in ihrer Idee.
So wie jede Fragmentierung auch eine Defragmentierung nach sich zieht, zeigt sich in den
abstrakten Strukturen eben etwas Anderes als nur das Abbildende oder Realistische, das jedoch
auch etwas zu sagen weiß, über die Welt, ihre Komplexität und Schönheit.
Durch die musikalische Rhythmisierung fängt Trevor Joyce Stimmen und Stimmungen ein,
Atem und Atmosphären, Flüchtiges und die Flüchtlinge, Ordnungen und Unordungen, setzt
auf kleines Stückwerk anstelle des totalen Ganzen.
Trevor Joyce ging von der/dem Language Poetry/das Language Movement und der Experimentelle
Poesie aus, geht aus von einer Poetologie, die die Antworten nicht parat und keine
einfachen Lösungen hat, jedoch nicht aufhört nach dem Einfachsten im Schwierigsten und
Schwersten zu fragen, das Schönste im Abfall zu suchen und die Freude im Zerfall. Hoffentlich
arbeitet er noch lange und immer weiter daran:
ich arbeite / jeden moment / zu jeder zeit / ich bin müde / aber das heißt nichts / es ist eine
sehr / glückliche arbeit (tj 217)
Ich gratuliere Trevor Joyce sehr herzlich und wünsche ihm weiterhin eine glückliche Arbeit.