Ungeheuer ist viel
doch nichts
ungeheurer als
der Mensch.
Antigone, Sophokles
„Krieg und Frieden“ lautete der von Leo Tolstoi geliehene Titel der Literaturtage vor einem Jahr. Sie waren ein Versuch, das Unbegreifliche zu begreifen, das am 24. Februar 2022 über die Ukraine und Europa hereingebrochen war. Was undenkbar schien, Krieg, war plötzlich wieder da. Ein Jahr später ist immer noch Krieg. Er dauert fort mit allen Schrecken und ohne Aussicht auf ein baldiges Ende. Aus den Medien kennen wir die Bilder des Krieges, wir sehen die Bilder der Toten und Soldaten, der Verletzten, der Geflüchteten, Entrechteten, der Schutz- und Wehrlosen, Bilder von Gewalt und Zerstörung, und wir wollen sie verstehen.
Hilft ein Rückgriff auf die griechische Tragödie und ihr Blick auf das Ungeheuer Mensch, um Krieg, Gewalt und Mord begreiflich zu machen? „Ungeheuer ist viel, doch nichts ist ungeheurer als der Mensch,“ lässt Sophokles den Chor in der Tragödie der Antigone sprechen. Doch Antigone beugt sich dem Ungeheuerlichen nicht, das da nicht nur Grund der Klage ist, sondern wie ein letzter Grund gemeißelt scheint, der alles bewegt. Antigone wird sein Gesetz brechen und ihm die Stirn bieten, sie wird ihm nicht das letzte Wort lassen.
An dem sprichwörtlich gewordenen Vers aus Hölderlins Übersetzung des griechischen Klassikers orientieren sich ziehen die diesjährigen Literaturtage Lana und ziehen daraus ihre Fragen.
Ob wir mittlerweile eine Erzählung für das Ungeheure gefunden haben und eine Sprache?
Ob wir Fragen haben, die aus der Lähmung führen, und Antworten, die den Unsicherheiten und Gefahren standhalten?
Ob wir dem Wahnsinn des Krieges den Sinn einer zivilen Gesellschaft entgegenzuhalten wissen? Und wie?
Der Krieg macht all unsere Fragen groß. Er macht sie mächtig. Und treibt sie dabei so leicht, wenn auch berechtigt, in Angst, beim Einzelnen wie in der Gesellschaft, denn die Folgen des Krieges treffen uns alle, sie stellen uns politisch, ökonomisch, sozial und nicht zuletzt moralisch auf die Probe. Sie rütteln am Eingemachten, das bisher ungefährdet schien, und versetzen es unter der Hand in neue Dimensionen. Dann entgleitet uns leicht das Gefühl, Herrin unserer selbst zu sein, und statt seiner schickt sich die Angst an, sich uns zu schnappen.
Damit Angst aber nicht in Ohnmacht und Blindheit und nicht in ein nächstes Unheil gleitet, damit sie nicht mächtiger wird als unser Denken in Freiheit und der Einsatz dafür, wollen wir die Fragen finden, die Zusammenhänge für ein Erkennen der menschlichen Ungeheuerlichkeiten eröffnen.
Damit Angst nicht zum Ungetüm heranwächst und unwahr wird, damit sie uns nicht das Schweigen oder fremde Wörter, die jemand sofort parat hat, in den Mund stopft, wollen wir die Momente finden, die die Kultur des Krieges oder die des Friedens entscheiden.
Damit uns die Angst nicht in die Irre führt und in falsche Hände treibt, wollen wir uns den Fragen, die zu stellen sind, genau zuwenden und das tun wir mit den Literaturtagen Lana 2023, indem wir uns der Literatur zuwenden.
Freitag, 25. August, 20.00 Uhr
Eröffnung mit LR Philipp Achammer und Bürgermeister Dr. Harald Stauder, Elmar Locher, Präsident des Vereins der Bücherwürmer, und Christine Vescoli, Kuratorin der Literaturtage Lana 2023
Swetlana Alexijewitsch: Das „rote“ Imperium existiert nicht mehr, der „rote“ Mensch aber ist noch da
Lesung aus „Secondhand Zeit. Leben auf den Trümmern des Sozialismus“ und Gespräch
Moderation: Katharina Narbutovic
Buffet
Samstag, 26. August 2023
11.00
Marta Kijowska: Nichts kommt zweimal vor. Wisława Szymborska. (Schöffling & Co. Verlag, 2023) Zum 100. Geburtstag der polnischen Dichterin.
Lesung und Gespräch
Moderation: Katrin Hillgruber
12.30
Jakub Małecki: Rost (Aus dem Polnischen von Renate Schmidgall, Secession Verlag, 2019) und Saturnin (Aus dem Polnischen von Renate Schmidgall, Secession Verlag, 2022)
Lesung und Gespräch
Moderation: Christian Ruzicska
16.00
Kateryna Mishchenko: Aus dem Nebel des Krieges (Suhrkamp Verlag, 2023)
Lesung und Gespräch
Moderation: Katharina Narbutovic
18.00
Karl Schlögel: Sprachlosigkeit in Zeiten des Krieges. Über die Ohnmacht der Rede.
Vortrag und Gespräch
Moderation: Olaf Kühl
20.00
Marcel Beyer: Die tonlosen Stimmen beim Anblick der Toten auf den Straßen von Butscha (Wallstein Verlag, 2023)
Lesung und Gespräch
Moderation: Ernest Wichner