3. Juni 2025, 19.00
Schallerhof, Raffeingasse 2, Lana

Am 3. Juni 2025 vergibt der Verein der Bücherwürmer zum 19. Mal der N.C. Kaserpreis, diesmal an den Dichter NIKOLA MADZIROV aus Nordmazedonien. Mit einer Laudatio von Michael Krüger und dem Übersetzer Alexander Sitzmann feiert Literatur Lana im Schallerhof den Dichter, der zu den einprägsamsten Stimmen Europas gehört. Auf der Suche nach der verlorenen Zeit findet er sie in der Reparatur der Reste wieder.

Nikola Madzirov (*1973) ist selten behutsam in der Radikalität. Fortwährend unterläuft er Stabilitäten, reißt Geschichte nieder und durchkreuzt Gegenwart und Vergangenheit nach den Gesetzen der Erinnerung, die ungestüm durch die Zeiten stromert. In einer Dichtung voll mythischer und alltäglicher Bilder kehrt er Verlorenes und Verkanntes hervor und bringt es schillernd zur Sprache.

Seinem Namen nach ist Nikola Madzirov ein Migrant, „madzir“ heißt nämlich so viel wie Mensch ohne Heimat, ohne Heim. Tatsächlich war seine Familie während der Balkankriege nach Mazedonien geflohen, an die Grenze zwischen Serbien, Griechenland und Bulgarien, wo tektonische und kulturelle Brüche herrschen und Erdbeben und Kriege oft alles in Schutt und Asche legten. Heute ist Nordmazedonien, dieser geschichtsträchtige Fleck mitten im Balkan, ein Land mit eigener Sprache und einer langen Tradition, in dem neben den Mazedoniern auch Albaner, Türken, Serben und Roma leben und in dem die Orthodoxie und der Islam den göttlichen Himmel unter sich aufteilen.

Die Gegenwart, der so viele Vergangenheiten eingeschrieben sind, kennzeichnen die Themen ebenso wie die Poetik dieses Dichters, sorgfältigen Lesers und Kenners der westlichen Poesie. Überzeugt, dass die Geschichte allen gehört und dass die Sprache ebenso wie die Sprachen geteiltes Gut sind, spürt er die Abwesenheiten auf, die neben den herrschenden Anwesenheiten in den Dingen wohnen, und folgt den kaum wahrgenommenen Spuren und Details, die nicht in den Geschichtsbüchern lagern werden. Sie erzählen vom Großvater, einem Flüchtling aus den Kriegen, der gräbt, um sein neues Haus zu bauen, und im Graben Würmer in den alten Waffen der Osmanen findet, die er als Köder zum Fischen benutzt, um zu überleben. Sie erzählen von den Schlüsseln, die die Großmutter ins neue Land mitnimmt und aufbewahrt, wenn sie eines Tages ins Haus zurückkehrt, das es nicht mehr gibt. Sie erzählen von der Mutter, die keine Zahnbürste wegwirft, um den Rest einer Seele dessen zu bewahren, der sie einmal benutzt hatte. Sie erzählen von den Zimmern, in denen der Dichter auf Reisen schläft, und dem Abdruck des Stuhlbeins im dicken Teppich, in dem sich die Gegenwart von jemandem einschreibt, der zurückkehren könnte. Denn: „Wenn jemand fortgeht, kehrt alles Erschaffene zurück.“ In den Gedichten von Nikola Madzirov ist es bis dahin aufbewahrt.

In der vorübergehenden Umarmung
spreche ich von Ewigkeit.
Der Wind trägt uns die Gebete der Glocken zu
zwischen die Federn, auf die wir unsere
schläfrigen Gesichter legen.
Es ist Morgen. Feuchte Luft zieht unter den
Viadukten hindurch, die Wolken trennen sich durch
eine Berührung, die Gebäude durch den Flug der Schwalben,
die Bauern beten um Regen, der
aufhören möge, die Bäume sagen sich
gleichzeitig von ihren Blättern los,
und so wird der Himmel größer.

Zärtlich sind deine Hände an diesem Morgen,
und zärtlich ist die Farbe des Mandelkerns.

In der nächstgelegenen Kirche wird seit
Jahrhunderten über eine Liebe gesprochen,
die uns überleben wird.

Obwohl wir wissen, dass wir nur kurz auf der Welt sind, benehmen sich manche, als seien sie Herren der Welt. Selbst Schriftsteller neigen zu dieser Arroganz. Mit welcher Demut dagegen findet sich Nikola Madzirov in der Realität zurecht! Er macht sich fast unsichtbar, um seine Gedichte leuchten zu lassen. Er, der alle Wünsch seiner Generation kennt, nimmt sich zurück: „Uralt ist der Wunsch nach einer Berührung auf der Stirn, / wenn keiner zusieht.“

Michael Krüger

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