Aktuelle Preisträgerin 2022
Zum 17. Mal wird 2022 der N.C. Kaser Lyrikpreis vergeben. Auf Vorschlag von Michael Krüger geht er an die belarussische Dichterin VALZHYNA MORT.
Die im sowjetischen Plattenbau von Minsk aufgewachsene und seit vielen Jahren in den USA lebende Dichterin hat drei Gedichtbände veröffentlicht, zuletzt „Musik für die Toten und Auferstandenen“ (2021). In die streng rhythmisierten Versen voll pulsierender Sprachkraft stanzt sie eine Unerbittlichkeit, die die geschichtlichen Wunden eines Landes nicht schließen und nicht aufhören kann, die Toten und Ohnmacht der Leidenden zu beklagen. Kollektive und persönliche Erfahrungen ziehen in unnachgiebig wiederkehrenden Erinnerungen auf, schieben sich wie schwere Sedimente ineinander und heben oder sprengen sich gegenseitig wieder in einer poetischen Phantasie, die eine ungeheure Kraft, Zorn, Witz und Trauer freigibt.
„In dieser Kammer bewahrt die Dichterin ihre Lieblingsgegenstände auf, ihre heiligen Gegenstände, ihr Heiligstes; sie bevölkert sie, diese Kammer, „mit Calibanen, meinen Zukunftsplänen“. In dieser Kammer, heißt es dann, „räumt die Erinnerung – / fleißig auf hinter der Einbildungskraft.“ Ja, wer in solchen Umständen, mit solcher Geschichte aufgewachsen ist, braucht die Einbildungskraft, um sich über die Umstände zu erheben, um reine Luft zu atmen. Aber er oder sie braucht auch die Erinnerung, um sich zurechtzufinden in der Welt, die sich durch Einbildungskraft allein nicht ordnen lässt. Vielleicht ist das eine Antwort auf die Frage, was eine gute, eine besondere Dichterin ausmacht?“ schreibt Michael Krüger in seiner Laudatio.
Am 9. Juni 2022 wird sie mit John Burnside, dem letzten Preisträger, im Obstbaumuseum Niederlana gefeiert.
Valzhyna Mort ist 1981 geboren und graduierte an der Minsk State Linguistic University im Fach Englisch. Sie ist Lyrikerin und Übersetzerin aus dem Polnischen und Englischen. Auf Deutsch erschienen drei Lyrikbände im Suhrkamp Verlag. Mort lebt in Washington, D.C., und lehrt an der Cornell University.
Biographie des Dichters
Ich nahm dein Buch von Sandeeps Regal,
in der Biografie des Dichters stand: „lebt und lehrt“.
Das Buch war recht neu, doch es stimmte nicht mehr.
Einmal traf ich dich beinahe – ein Beinahe, das ich klar erinnere
wegen meiner Scham:
Ich hatte lauten Sex in einem Hotelzimmer
und du klopftest an die Tür, um mir dein Buch zu geben.
Jetzt stecken die Züge fest, gefroren im Wintersturm,
jetzt bedaure ich die Züge,
als wären sie Schmetterlinge, zitternd,
ein ganzer Schwarm, die letzten ihrer Art,
gefangen im Schnee, den England nie sah.
Sandeep kocht Essen, du bist tot, der Liebhaber fort,
dein Buch in meiner erfrorenen Hand.