Spätestens seit Liao Yiwu der Friedenspreis zugesprochen wurde, gilt der Dichter und Musiker als literarische Stimme Chinas. Als Chronist und Dichter hat er seinem Heimatland, das ihn 2011 zur dramatischen Flucht nach Deutschland zwang, mit zahlreichen Büchern ein Denkmal gesetzt.
In seinem ersten Roman, den er 1992 heimlich im Gefängnis schrieb, verwebt Liao Yiwu auf poetisch abgründige Weise die Geschichte seiner Familie mit der seines Heimatlandes. Liao Yiwu saß im Gefängnis, in der Falle des totalitären Wahnsinns, und erfuhr Folter und Demütigung, nur weil er Gedichte schrieb. Allein sein Lieblingsbuch, das wundersame chinesische Orakel I Ging, half ihm, die Hölle der Gefangenschaft zu überleben. Ein starker Roman, in dem der große Dichter Chinas zu einer neuen, überwältigenden Sprache gefunden hat.
„Denn wer beobachtet, ist zur Hälfte außerhalb, auch wenn er ganz drin ist. Und da, wo Verwahrlosung und Vegetieren befohlener Zustand sind, wird Beobachten zur einzig möglichen geistigen Beschäftigung. Die Wahrnehmung ist eine Qual und die Qual der Wahrnehmung eine Gnade. Qual und Gnade bleiben in diesem Buch immer beisammen, sie wissen übereinander Bescheid. Denn der Antrieb beider ist die Selbstbeobachtung. Das Gefängnisbuch Liaos ist eine Kopfinszenierung, die das Erlebte als Selbstgespräch mit allem, was geschehen ist, ins Gedächtnis zurückruft. Dieser Rückruf ist immer auch ein Rückfall, das Erlebte vergrößert sich, weil es nachher abstrakt existiert – aber innen im Kopf als Phantomschmerz und schwelende Angst. Diese Angstphantasien nennt Liao: „die jenseitigen Zärtlichkeiten“. Man wird sie sein Lebtag nicht los, weder daheim noch in der Fremde. Sie gehen nie weg, kommen aber wieder.“ (Herta Müller über Liao Yiwu)