Vor einem Jahr widmeten sich die Literaturtage Lana dem Werk und der Person Ezra Pounds, der letzte Cantos auf der benachbarten Brunnenburg geschrieben hatte. Mit dem Blick zurück auf diese widersprüchliche Figur war bereits die Frage nach der Rolle der Dichtung in der modernen Gesellschaft gestellt. Das diesjährige Festival greift die verwickelten Zusammenhänge von Kunst und Gegenwart noch einmal auf. Herangetragen an die Sprache als Austragungsort und Mittel dichterischen Denkens, zielt es dabei auf den Brennpunkt, der die Form der Dichtung immer auch als Haltung ausweist und im ästhetischen Ausdruck ein zeitgeschichtliche Bewusstsein erkennt.
„Und die Funktion von Kunst besteht für mich darin, die Wirklichkeit unmöglich zu machen – die Wirklichkeit, in der ich lebe, die ich kenne.” Der Satz von Heiner Müller, 1977 in einem Interview geäußert, gibt das Denken eines Schriftstellers wieder, der Schreiben als radikale Kunst der Negativität betrieb. Illusionslos gegenüber den großen Versprechungen der Geschichte, rief er diese unentwegt wach, um ihre Sinnhaftigkeit mit aller Kraft aus den Angeln zu heben. Aber aus den Lücken, die solche Bewegung öffnet, holte er das utopische Moment, nicht als ein politisches, sondern als künstlerisches. Wirklichkeit unmöglich zu machen mit den Mitteln der Kunst, das ist der Auftrag, den Heiner Müller der Kunst erteilt.
Stellvertretend für die vielen, ja so vielen Versuche, das Verhältnis von Kunst und Welt zu definieren, soll das Zitat von Heiner Müller die Frage der 33. Literaturtage Lana einleiten: Was bedeutet heute politisches Schreiben? Lässt sich einParadigmenwechsel von politischer Kunst zu politisch korrekter Kunst verzeichnen?Wie einer Welt literarisch gegenübertreten, wo sie fragwürdig ist? Was aus ihrer Fragwürdigkeit ableiten und wie daraus Gegenbilder entwerfen? Welche politischen und poetischen Ansprüche laut werden lassen und wie dabei die Lautlosigkeit gewahren, die der Welt in ihrem Gerede Not tut?
Damit verbunden mag die Frage nach der Aufgabe von Literatur sein. Ist sie im Kontext von Jean Paul Sartres Konzept der „engagierten Literatur“ gestellt, die nicht ohne Moral auskommt, sucht sie immer wieder nach der politischen Rolle, welche Literatur spielt und dem Dichter wiederum eine Rolle zuweist oder abverlangt, auch dann, wenn er sie gar nicht hat oder nicht haben möchte.
Möglicherweise aber hat er sie, wenn er der Welt nichts zu sagen hat, was zu ihren Meinungen oder Überzeugungen beitragen könnte. Möglicherweise hat er sie, wenn er sich ihrer Wertung und Erwartung entzieht, Gegenwärtigkeit an Aktualitätsdebatten und Tagesgeschehen zu binden. Möglicherweise hat er sie, wenn ihm der Zeitgeist ums Haus weht, ohne je ins Zimmer zu dringen.
„Engagement. Bei der Sache sein, wirklich bei der Sache sein, ganz bei der Sache sein, mit allem herum, mit allem rings herum.“ (Ernst Jandl)
Ganz bei der Sache sein: das heißt für den Dichter bei der Sprache sein, mit allem herum, mit allem rings herum. Wer derart in Sprache vertieft ist, ist damit höchst engagiert; nicht weil er die Sprache für diesen oder jenen Glauben zum Einsatz bringen und zur Verfügung stellen würde, sondern weil er sie für existenzielle und politische ebenso wie für künstlerische Eindeutigkeiten unbrauchbar macht. Weil er sie mit jeder Lösung, die eine nächste und übernächste Frage zutage befördert, zur Mehrdeutigkeit formt, zu Differenz und Widerspruch und hin zum springenden Punkt, der Gegenwart noch einmal wendet, weil er sieht, da stimmt doch etwas nicht.
In diesem höchsten Engagement für ihre Sache ist Dichtung politisch. Indem sie es ganz mit der Sprache, diesem „immer schon politischen Gehege“ (Herta Müller), aufnimmt, nimmt sie es mit der Welt auf. Und in der Realisierung ihrer denkbaren Möglichkeiten, die die unmögliche Wirklichkeit ihr zur Aufgabe stellt, manifestiert sie ihren Bezug zu Welt. Was sie politisch erkennt, macht sie poetisch deutlich, und was sie sagt, indem sie schreibt, sagt auf diese Weise keiner. Darin liegt mitunter ihre Freiheit und auch ihr Bekenntnis, auf welche Seite der Geschichte sie sich schlägt.
Was heute politisches Schreiben ist und vermag, wenn es eine Form nicht für ein Format, eine sprachkritische Haltung nicht für eine Chronik, eine Invention nicht für eine flüchtige Inventur preisgibt, das wollen die Literaturtage Lana zusammen mit internationalen Dichterinnen und Dichtern nicht aufhören zu fragen: als „Zivilpoesie“ (Sergio Raimondi) und Instrument der Analyse einer Gegenwart, als teilnehmende und wahrnehmende Beobachtung, die ihre eigenen Produktionsbedingungen reflektiert; als literarischer Bericht, der, was „wahr“ ist, zwischen Faktum und Fiktion bezeugt; als lebenslängliches „Verwickeltsein“ (Sonja vom Brocke), das auch eine körperliche Ungeschütztheit mit sich bringt oder eine Erschütterung, „als falle eine Zeit, die mir schon für immer vergangen schien, über mich her wie ein großes Lachen“ (Thomas Brasch). Solche Literatur und Dichtung nimmt sich aus den Verhältnissen nicht aus. Sie übernimmt Verantwortung im Wortsinn und sucht Veränderung im Unfertigen, pflegt, wo sie nicht Ja sagt zur Zeit, unnachgiebig die subversive Kraft des Wünschens.
Der so hartnäckig sich haltenden Trennung einer „formorientierten“ von einer „politischen“ Dichtung ist in dem Moment entgegenzuhalten, dass Dichtung wie jede Kunst Inhalt von der Form her bestimmt und verhandelt und dass ein poetisches Sprachmaterial durch die „politische Grammatik“ (Helmut Heißenbüttel) dekliniert wird, samt dem ganzen Körper der Erfahrung. „Dass die Wahrheit nicht etwas ist, das wir irgendwo abholen und vertreten können, sondern dass etwas durch uns hindurch gegangen sein muss, um wahr zu sein“ (Volker Braun), steht dafür ein.
(Theresia Prammer und Christine Vescoli)
33. Literaturtage Lana
20. – 23. August 2018
„Politische Grammatik. Zur Geistesgegenwart der Dichtung“
Montag, 20. August 2018: Eröffnung
20.00 Uhr
Begrüßung: LR Philipp Achammer, BM Dr. Harald Stauder, Prof. Elmar Locher
Theresia Prammer und Christine Vescoli (Kuratorinnen)
Liao Yiwu: „Die Wiedergeburt der Ameisen“ (Aus dem Chinesischen von Karin Betz, S. Fischer Verlag 2016)
Lesung und Gespräch mit Karin Betz
Buffet
Dienstag, 21. August 2018
17.00 Uhr
„Vom Lieben und vom Lassen“. Der Dichter Thomas Brasch
Einführung: Martina Hanf, Hermann Wündrich
18.00 Uhr
„Ein Buch it unsichtbaren Zeichen“. Annäherungen und Gespräche. Mit Volker Braun, Martina Hanf und Hermann Wündrich
20.00 Uhr
Angela Winkler: „Wer durch mein Leben will, muß durch mein Zimmer“. Lesung aus Texten von Thomas Brasch. Zusammenstellung: Hermann Wündrich
22.30 Uhr
Film: „Domino“ (Thomas Brasch, D, 1982)
Mittwoch, 22. August 2018
18.00 Uhr
Sonja vom Brocke: „Hier und dort. Zum verwickelten Gedicht“
19.00 Uhr
Ulf Stolterfoht: „Regel und Verantwortung – über ein vermeintliches Problem der experimentellen Lyrik“
Gespräch mit Sonja vom Brocke und Ulf Stolterfoht
20.30 Uhr
Sergio Raimondi: „Zivilpoesie“ und „Für ein kommentiertes Wörterbuch“ (Aus dem Argentinischen von Timo Berger)
Einführung und Gespräch: Ulf Stolterfoht
Donnerstag, 23. August 2018
18.00 Uhr
Tomasz Różycki: Zwischen uns und der Welt
Einführung und Übersetzung: Marlena Breuer
19.00 Uhr
Julian Tânase: „Abgrunde“ (Aus dem Rumänischen von Ernest Wichner, Brüterisch Press 2018)
Einführung und Gespräch: Ulf Stolterfoht
20.00 Uhr
Volker Braun: „Handbibliothek der Unbehausten“ (Neue Gedichte. Suhrkamp Verlag 2017)
Einführung und Gespräch: Katrin Hillgruber
Kuratorium: Theresia Prammer und Christine Vescoli