01. Januar 1970

Zum 9. Mal wird 2006 der N.C. Kaser Lyrikpreis in Lana vergeben und zwar an den persisch-deutschen Dichter Farhad Showghi, der in Hamburg als Psychiater tätig ist. Die Laudatio hält Ulf Stolterfoht.

„Das Alphabet wechselt die Sprache“ – So ist ein Kapitel benannt im letzten Buch von Farhad Showghi. Damit benennt sich auch sein Poesieverständnis, seine schüchterne Sprachsuche in der Wirklichkeit der Wörter. Die Lektüre seiner Texte benötigt Zeit, die den Raum ergibt. Einfache Sätze verrücken die Wahrnehmung und finden neue Welten, schaffen Denkraum und – ganz im Sinne der Preis-Konzeption: schaffen neue Möglichkeiten.

Farhad Showghi

 

Ende des Stadtplans 9
Ich öffne etwas, aber Sonnenlicht löst mein
Schulterblatt. Ein Lebensmittelladen leuchtet
verletzbar, schaukelt im Hof des Nachbarn. Jetzt
gehe ich an der Straße, im Austausch mit Sträuchern
und Salaten und der Linienbus wird gleich ein
schneller Garten. Schöner Tag, es ist mit Flugzeugen
zu rechnen, die weisse, kleine Finger brechen, sagen
wir, so beginnt das Blau, es lohnt, sich dort weiter
zu verletzen, die Luft ist gut, wirkt hörbar auf meine
Pulloverbrust. Ein Wohnblock geht mir mit Fenstern
und Türen durch alle Glieder, bewegt klingelnd
meine Fahrkartenhand. Und ich beginne gleich
meinen Unfall zu haben.

Das Zimmer 7
Wie eine Sommerwolke bieg ich die Hand oder lasse die
Stirn an einem Faden herunter ohne zu sprechen. So
fahre ich fort bis Osten und Westen beweglich werden
und durch die Wände ineinandergleiten. Ich atme aus
und die Stadt steht an der Fensterbank. Das Licht ist jetzt
anders geworden, weiter draußen, unberührt vom Tumult
der Dächerfarben. Wenn ich schneller werde, rücke ich
einen Stuhl, schlage die dunkelrote Decke zurück oder
trage einen Becher durch die Tür. Dann beginne ich zu
laufen und schaue auf die Gardinenfalten. Bald steh ich
im Flur, in einem Schwarm von Schatten. Hier
verschluck ich das Wörtchen Heute, werde flinker noch,
reiße den Kopf herum und drehe eine nächste Runde.
Eben ging die Sonne und zog am Horizont. Indes mein
Mund ein Hohlraum bleibt, ein aufgefangener Ball
zwischen Osten und Westen. Ich ziehe ihn an einem
Faden hoch ohne zu stoppen. Bin schon wieder im
Zimmer und ziehe ihn weiter, öffne die Lippen, und ziehe
ihn schnell über die Zunge.

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