Moderation: Martin Hielscher
Die Übersetzerin Renata verliert jäh ihren Lebensgefährten und wird mit gänzlich unerwarteten Konflikten konfrontiert. Sie muss sich außerdem selbst ins Leben zurückkämpfen und die Frage beantworten, ob Konrad, ihr Partner, Geheimnisse vor ihr hatte? Sabine Grubers Roman Die Dauer der Liebe ist ein ergreifendes, gelegentlich zorniges und manchmal auch komisches Buch.
Ein morgendliches Klopfen an der Tür zu ihrer Wiener Wohnung, die Übersetzerin Renata Spaziani öffnet, und die Nachricht, die ihr ein Polizist überbringt, ändert alles: Konrad Grasmann, mit dem sie die letzten fünfundzwanzig Jahre zusammengelebt hat, die Liebe ihres Lebens, ist, erst Anfang sechzig, schon am vorigen Tag auf einem Parkplatz gestorben. Seine Herkunftsfamilie war verständigt worden, Renata aber nicht. Und während sie den Schock des jähen Endes ihrer innigen Partnerschaft verkraften muss, Konrad am liebsten nachsterben will und sich doch ins Leben zurückkämpft, muss sie aushalten, dass Konrads Familie diese Partnerschaft nicht respektiert. Renata und Konrad waren nicht verheiratet, ihr Gefährte hat kein rechtsgültiges Testament hinterlassen. Renata wird doppelt beraubt …
Bei den Erinnerungen an Konrad, einem Architekten und Fotokünstler, bei den Aufräumarbeiten und Auseinandersetzungen mit seiner Familie stößt Renata auf Ungereimtheiten in seinem Leben. Hat er ihr etwas verschwiegen? Ihren Erlebnissen mit Konrad und seinen ästhetischen Vorlieben nachspürend und gestützt von ihren Freunden, fasst Renata allmählich wieder Fuß in einem Dasein, das sie nun neu, anders entwerfen muss. Wer soll dazu gehören? Ergreifend, poetisch und klug, gelegentlich zornig und auch komisch erzählt Sabine Gruber in «Die Dauer der Liebe» davon, wie es ist, ohne den anderen weiterleben zu müssen.
Es klopft, Renata sitzt am offenen Fenster, die Platanenblätter versperren den Blick zum Kanal. Um diese Zeit erwartet sie nie- manden, sie steht nicht auf, geht nicht zur Tür. In einem großen Haus mit vielen Wohnungen wird ständig renoviert und umge- baut.
Sie hört das Rauschen des Verkehrs. Wenn die Ampel auf Grün schaltet, sind manche Motoren lauter als andere; Renata hat sich an das Aufheulen gewöhnt, wenn die Fahrer aufs Gas treten, kurz beschleunigen, um dann – keine hundert Meter später – wieder abzubremsen, weil der nächste Fußgängerübergang wartet.
Stimmen von Passanten dringen an ihr Ohr, sie hört ein Kind weinen, die Schreie der beiden Krähen, die wieder zwei Junge durch den Frühling und Frühsommer gebracht haben, hört die Hunde der Pensionisten bellen, deren Herrchen sich jeden Mor- gen vor dem Haus treffen.
Obwohl der Tag erst angebrochen ist, hat der Himmel schon eine blaue Farbe. Es ist ein Spätsommerblau, das in der Stadt selten so kräftig und so klar ist wie auf dem Land.
Renata liebt es, während der Arbeit mit ihrem Blick in die Himmelsöffnung zwischen den Häusern am Platz zu tauchen. Jeden Tag, selbst bei gleichbleibendem Wetter, zeigt sie eine andere Farbnuance. Himmelschwimmen nennt sie dieses Abschweifen, das gleichzeitig Sammlung bedeutet.
Doch jetzt steht sie auf, schließt das Fenster, zieht die Rollos herunter, um die Sonne auszusperren, obwohl sie weiß, daß sich die Nachtkühle nicht lange halten wird.
Im Bett nebenan schläft ihre Nichte Pauline. Wie jedes Jahr verbringt sie einen Teil ihrer Ferien in der Großstadt, sie liebt die Wiener Bäder und die italienischen Eissalons.
Renata hat schon die Wäsche sortiert, die Handtücher aus- getauscht, das Waschbecken gereinigt und die Rasierschaumdose, die seit zwei Tagen am Beckenrand steht, im Allibert verstaut.