Die jüngst erschienene und notwendige Studie von Sabine Mayr wirft einen erhellenden, klugen Blick auf eine Geschichte Merans, die bislang unbeschrieben ist und weitgehend unerwünscht war. Wie schon die historischen und literarischen Beiträge, die es in kriminalistischer Detailfreude untersucht, hat auch das Buch eine liberale und tolerante Gesellschaft im Visier und ist darüber hinaus in erfrischender Verve geschrieben.
Die interdisziplinär angelegte Darstellung eröffnet eine bislang vernachlässigte Sicht auf kreative Gegenentwürfe gegen das konservative, antiliberale und antisemitische Tirol, dessen südlicher Teil sich im Lauf des untersuchten Zeitraums von 1828 bis 1927 zunehmend nationalistisch gebärdet. Jüdische Autorinnen und Autoren wie Daniel Spitzer, Moritz und Nahida Lazarus oder Clara Schreiber setzten sich mit kreativen Mitteln für eine liberale und demokratische Entwicklung der Gesellschaft ein und wurden von den hiesigen, klerikal-konservativen Medien dafür diffamiert.
In ihrer Analyse deckt Sabine Mayr bislang übersehene, kritische Aspekte in der Literatur von Autorinnen und Autoren mit jüdischem Hintergrund auf, zum Beispiel in Daniel Spitzers Novelle „Das Herrenrecht“, in August Lewalds erstem Tirol-Reisebuch „Tyrol vom Glockner zum Orteles und vom Garda- zum Bodensee“, in den Stellungnahmen des Landesrabbiners von Tirol und Vorarlberg Aron Tänzer, der 1901 in Meran den ersten Synagogenbau Tirols eröffnet, oder in der expressionistischen Novelle „Im Sanatorium“ von David Vogel. David Vogel war in den Jahren 1925 und 1926 Patient im jüdischen Sanatorium, einer international bekannten Wohlfahrtseinrichtung der Königswarter-Stiftung in Meran.
Gespräch im Anschluss: Klaus Hartig und Christine Vescoli