Mit dem Roman „Die Mittellosen“, ein Jahr nach seinem Tod erschienen, hat der ungarische Schriftsteller Szilárd Borbély ein Vermächtnis hinterlassen, das ein verstörendes Bild einer dörflichen Welt und ein düsteres Ungarn der 1960er und 70er zeichnet. In einer ungeheuren Sensibilität und literarischen Schönheit zeugt es aber genauso von der poetischen Kraft, die die stumme Welt der Erniedrigten und Beleidigten in leuchtende Sprache verwandelt.
Als der Ladenbesitzer Mózsi von der Zwangsarbeit ins Dorf zurückkehrt, hat er keine Ähnlichkeit mehr mit einem Juden. Er wird nie wieder einen schwarzen Kaftan tragen. Auch kein weißes Hemd. Er fragt nicht, wohin seine Ware sich verflüchtigt hat: „Aus dem Haus sind die Möbel verschwunden, aus den Regalen die Bücher, aus den Herzen das Erbarmen.“
In diesem Dorf wächst Jahrzehnte später ein Junge auf, der Erzähler des Romans. Früh lernt er, wie man Tiere tötet und sich mit halberfrorenen Fingern die Fußlappen bindet, was es heißt zu frieren, zu hungern und von den Leuten im Dorf voller Misstrauen betrachtet zu werden. Die Eltern sind keine Bauern, sondern Menschen, die „Fremdengeruch“ umgibt. Sie kommen anderswo her, genauso wie der Zigeuner Messias, der den Bauern das Plumpsklo entleeren muss. Doch wer sind sie? Juden? Aus Rumänien vertriebene orthodoxe Christen? Ruthenen? Warum werden sie ausgegrenzt?
Ich frage sie erneut, weil die Stille nicht gut ist. Sie gebiert Angst. Schnüffelt an einem herum wie ein Hund. Hat keine Stimme, taucht plötzlich auf, geräuschlos. Lauert einem immer auf. Er tut dir nichts. Schmiegt sich heimtückisch an dich. Verharrt in deiner Nähe. Doch zuvor entscheidet er, ob er es mit einem Dieb zu tun hat. Man muss dann warten, ob sein Herrchen auftaucht und die Stille, die in den unteren Ästen des Baumes hockt, aufschreckt.
„Denn dieser Junge sieht mehr. Oder besser: Etwas in ihm sieht mehr, vermutlich der „Verräter“ in ihm. Die Mittellosen, in dieser ausgezeichnet lesbaren Übersetzung aus dem Ungarischen, gehören zu den ganz wichtigen Büchern der Gegenwart. Dieser Roman ist wichtiger als so manches Hochgerühmte.“ (Ina Hartwig, Die Zeit)
„Als Blick in den Spiegel muss dieser grausam-zärtliche Kindheitsroman für Ungarn schwer zu ertragen sein. Doch hat sich der Autor selber alles andere als geschont. Oft stellt sich sein Erzähler vor, wie es ist, tot zu sein – «weil es dann endlich vorbei wäre». Mitunter schenkt die Natur dem Kind eine Ahnung von Glück, wie den Anblick der leuchtenden Venus; doch dann trägt der «kühle Abendwind den Geruch von Erbrochenem herein.“ (Andreas Breitenstein)