Szilárd Borbély, dessen Romandebüt Die Mittellosen in Ungarn, Deutschland und vielen anderen Ländern ein literarisches Ereignis war, wollte seinen nächsten großen erzählerischen Text Franz Kafka widmen. Die Sammlung von Bruchstücken, aus dem Nachlass veröffentlicht, ursprünglich zur Publikation bestimmt, bezieht ihre Intensität aus der leidenschaftlichen Suche des Autors nach sich selbst und der eigenen Stimme.
Kafkas Sohn, das ist ein junger ungarischer Schriftsteller, der lernt, im Schreiben seine Heimat zu finden. Die Sprache nennt er einen Friedhof, der sich die Toten einverleibt; er will Geschichten schreiben, die »meine eigenen Spuren, die ich zwischen den Wörtern zurücklassen könnte, auslöschen«. Kafka als Bruder, als Projektionsfigur, als Lehrer, als Erzähler, als Mensch der Verzweiflung, der Krankheit, der unglücklichen Liebe.
Borbély nimmt Kafkas »Brief an den Vater« als Folie, sich mit der eigenen Vaterbeziehung auseinanderzusetzen. Die Prosastücke, formal hier und da an jüdische Geschichten und Legenden angelehnt, passagenweise an Kertész’ Galeerentagebuch erinnernd, sind Selbstbekenntnis und Vermächtnis in einem.
„Abschied von der Vernunft“, Gespräch mit Laszlo Kornitzer, Eliza Zolnai und Tamás Dömötör
„Das ungarische Bewusstsein hat sich für den Anachronismus, die Absperrung entschieden. Im ungarischen Bewusstsein gibt es keinen Platz für Konflikte, das ungarische Bewusstsein besteht in der sakralen Selbstbestätigung – es hat sich für ein falsches Geschichtsbewusstsein, literarischen Provinzialismus und die Lüge im allgemeinen entschieden,“ – schrieb Imre Kertész in seinem Tagebuch „Der Betrachter“ 1994. Und: „Ungarn stand schon immer auf der falschen Seite.“
Heute, rund 20 Jahre später, ist es, als wolle Ungarn der Diagnose von Kertész entsprechen. Die Politik laviert zwischen bestellter Agonie und der Behauptung, sie gerade überwinden zu wollen. Einzelne Stimmen aus dieser Lage klingen wie Aufschreie und Rufe der Notwehr. Eine solche Stimme war auch die von Szilárd Borbély. Kertész nannte ihn den „vielversprechendsten und verlorensten ungarischen Dichter“. Beide Autoren sind nicht mehr am Leben. Wir erinnern an sie, diskutieren über sie und die von ihnen beschriebene Lage mit der Filmemacherin Eliza Zolnai und dem Theater- und Filmregisseur Tamás Dömötör aus der jüngeren Generation. Sie ist 25, er 42 Jahre alt. Sehen sie Perspektiven für sich, für ihre Arbeit, für das, was Geistesleben in einem geistfeindlichen Land ist? Wenn nicht, wie plant oder verplant man sein Leben in einer Zeit, in der die politische Zukunft auf 1940 fixiert wird? Was bedeutet der Verlust der stimmmächtigen Ausnahmekünstler Kertész, Borbély, Esterházy?